von Dr. Reinhold Weicker, Paderborn

Kurze Antwort

Bei der bekannten ErzÀhlung in Gen. 19 (1. Mose 19) handelt es sich um eine versuchte Vergewaltigung (von MÀnnern an MÀnnern, an Boten Gottes). Als biblische Aussage zu dem, was wir heute als HomosexualitÀt / homosexuelle Erotik / homosexuelle Liebe bezeichnen, nicht relevant; wir könnten die Bibel also wieder zuklappen.

 

Lange Antwort

Wir sollten doch nicht gleich die Bibel zuklappen, sondern wir sollten einmal den Versuch machen, systematisch alle Stellen der Bibel kurz zu lesen, an denen das Wort „Sodom” auftritt. Das geht heutzutage mit Computer-Hilfe sehr einfach: Man nehme eine der verschiedenen im Web vorhandenen „Bibel-Text-Suchmaschinen” und gebe dort den Suchbegriff „Sodom” ein. (Im Zeitalter vor dem Computer gab es dafĂŒr gedruckte BĂŒcher, „Konkordanzen”.) Gesucht wird bei dieser Webseite in der Luther-Übersetzung; andere Bibel-Ausgaben im Web basieren auf anderen Sprachen oder Übersetzungen. Angezeigt werden nicht weniger als 48 (!) Stellen, die meisten im Alten Testament. Interessant ist:

  • Dass Sodom als Inbegriff fĂŒr „sĂŒndige Stadt” galt, steckt hinter fast allen Nennungen. Ein Beispiel von vielen:
    „Aber die Leute zu Sodom waren böse und sĂŒndigten sehr wider den HERRN.” (Gen. 13,13)
    Was
    das sĂŒndhafte Verhalten ist, wird an den meisten Stellen nicht explizit genannt.
  • Die „Sodom-ErzĂ€hlung” (Gen. 19) findet man natĂŒrlich auch: Die Einwohner von Sodom bedrĂ€ngen Lot, er solle seine GĂ€ste (die Boten Gottes) herausgeben, damit an ihnen ein gewaltsamer Sexualverkehr vollzogen werden kann. (Der sexuelle Akt wird, wie auch an anderen Stellen im AT, in alten Bibelausgaben umschreibend „Erkennen” genannt. Eine neuere Übersetzung sagt „ ... dass wir uns ĂŒber sie hermachen”). Die Boten sagen Lot, dass der Untergang der Stadt beschlossen sei:
    „ ... wir werden diese StĂ€tte verderben, weil das Geschrei ĂŒber sie groß ist vor dem HERRN; der hat uns gesandt, sie zu verderben.”
    Was die spezifische SĂŒnde war, warum „das Geschrei ... groß” war (offenbar schon vorher), ist auch hier nicht genannt (siehe oben, Kapitel 13).
  • Beim Propheten Hesekiel wird etwas genannt, was mit sexuellem Fehlverhalten gar nichts zu tun hat:
    „Siehe, das war die Schuld deiner Schwester Sodom: Hoffart und alles in FĂŒlle und sichere Ruhe hatte sie mit ihren Töchtern; aber dem Armen und Elenden halfen sie nicht, ...” (Hes. 16,49)
    Ähnlich beim Propheten Amos, in seiner Rede an die schwelgerischen Frauen in Samaria:
    „ ... Ihr fetten KĂŒhe, die ihr auf dem Berge Samarias seid und den Geringen Gewalt antut und schindet die Armen und sprecht zu euren Herren: Bringt her, lasst uns saufen! ... Ich richtete unter euch Zerstörung an, wie Gott Sodom und Gomorra zerstörte, daß ihr waret wie ein Brandscheit, das aus dem Feuer gerissen wird; dennoch bekehrt ihr euch nicht zu mir, spricht der HERR.” (Amos 4,1 und 11)
  • FĂŒr Christen interessant: An drei der fĂŒnf Stellen, an denen Jesus Sodom nennt (z. B. Mt. 11,14–15), nennt er die Stadt als Beispiel fĂŒr Ungastlichkeit, fĂŒr Nicht-Aufnehmen von Boten Gottes:
    „Und wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede nicht hören wird, so geht heraus aus diesem Hause oder dieser Stadt und schĂŒttelt den Staub von euren FĂŒĂŸen. Wahrlich, ich sage euch: Dem Land der Sodomer und Gomorrer wird es ertrĂ€glicher ergehen am Tage des Gerichts als dieser Stadt.”
    Von sexuellem (Fehl)Verhalten ist hier weit und breit nicht die Rede. An den anderen zwei Stellen spezifiziert auch Jesus nicht genauer, worin die SĂŒnde Sodoms bestanden hat.
  • Erst in einem spĂ€ten Brief im Neuen Testament (Judas 1,7) ist von „Unzucht” die Rede und von „anderem Fleisch nachgegangen” (Engel als verbotene Sexualobjekte? MĂ€nner als verbotene Sexualobjekte?)

Im Verlauf der Kirchen- und Geistesgeschichte ist diese letztere Deutung dann die vorherrschende geworden, z. B. war in altem Englisch „Sodomit" die Bezeichnung fĂŒr Homosexuelle. Mit der Gesamtaussage der biblischen Autoren hat das aber wenig zu tun; und die Aussage „Sodom zeigt doch, dass die Bibel HomosexualitĂ€t verurteilt” ist einfach nicht haltbar.